Festkommers

 

Artikel aus der Siegener Zeitung 12.05.2018 (Fotos oben: Björn Weyand)

„Aber bitte mit Sahne“

Festkommers in voll besetzter Volkshalle war nächster Höhepunkt der 800-Jahr-Feier

Die Dorfgemeinschaft reicht bis nach Neuseeland. – Hans Hermann Weber: „Man ist wieder näher zusammengerückt.“

vö/bw ■  „Aber bitte mit Sahne“, das wünschten sich die jungen und jung gebliebenen Sänger der „Harmonie“-Chöre gestern Abend beim Festkommers zum 800. Geburtstag Feudingens. So viel sei an dieser Stelle verraten: Es war ein weiteres Sahnehäubchen eines Festwochenendes in der voll besetzten und festlich dekorierten Volkshalle, das bereits mit der Sternwanderung am Himmelfahrtsfeiertag fulminant begonnen hatte (die Siegener Zeitung berichtete).

Gestern Abend legten die Oberlahntaler nach – mit einem kurzweiligen Programm für Jung und Alt, Musikdarbietungen, Anekdoten und einer frisch-spontanen Moderation der drei jungen Feudinger Lisa Schäfer, Lea Klein und Nils Torben Pott. Ein Höhepunkt war zweifelsohne die Festrede des Historikers und gebürtigen Girkhäusers Dr. Ulf Lückel (siehe Extrabericht). Neben den „Harmonie“-Chören gehörte die Bühne in der Volkshalle auch den Sängern von LahnVokal, der Chorgemeinschaft aus Feudingen und Rückershausen, dem Tambourkorps des TV Feudingen sowie den Oberlahntaler Musikanten. Eine starke Mischung. Welche enorme Außenwirkung die engagierte Dorfgemeinschaft Feudingen in Sachen Jubiläum entfacht hatte, konnte man allein am Beispiel von Prof. Sigrid Norris festmachen: Die gebürtige Feudingerin war mit ihrem Mann Alan aus Auckland in Neuseeland angereist – 18 000 Kilometer hatten beide auf sich genommen. Oder Daniel Treude: Er komponierte für Feudingen eine eigene Hymne – auf Video.

Großen Beifall konnten die drei Schirmherren für sich verbuchen: Hans-Gerd Ströhmann, Ernst Althaus und Manfred Kuhli gehörten dem Festausschuss der 750-Jahr-Feier in 1968 an und standen gleich zu Beginn gestern Abend im Interview im Fokus: Der frühere Pfarrer Ströhmann sagte, dass es auch die Ökumene sei, die in Feudingen viele Türen geöffnet habe. Feuerwehrmann Althaus freute sich, „dass wieder alle Vereine an einem Strick gezogen haben – das war vor 50 Jahren schon so“. Und der frühere Feudinger Bürgermeister Kuhli erinnerte daran, „dass es immer wieder dieses großartige Gemeinschaftsgefühl ist, das wir an vielen Stellen in Feudingen erleben“.

Daran knüpfte auch Hans-Hermann Weber, Vorsitzender der Dorfgemeinschaft Feudingen, an, der sich über das Engagement an ganz vielen Stellen freute: „Auch die Straßenzüge und Pfingstbaumgemeinschaften machen mit. Der Bau von Festwagen hat dazu geführt, dass man sich getroffen hat und wieder näher zusammengerückt ist.“ Der Kopf des Festausschusses wäre aber nicht Hans-Hermann Weber, wenn er an einer Stelle nicht auch deutliche Worte gefunden hätte. Er erinnerte daran, dass das gesamte finanzielle Risiko des Jubiläums beim Verein Dorfgemeinschaft Feudingen liege: „Wenn man weiß, dass wir mit etlichen zehntausenden Euro in Vorleistung getreten sind, sollten sich die Profimeckerer und Besserwisser dies überlegen, bevor sie über Eintrittspreise und Bierpreise öffentlich Stimmung machen. Unter dem Strich habe sich aber aller Aufwand gelohnt. Denn: „Unser Dorf hat Zukunft.“

Die heimischen Landtagsabgeordnete Anke Fuchs-Dreisbach betonte in ihrem Grußwort, dass es in Feudingen alles gebe, was man zum Leben brauche – vom Kindergarten und der Grundschule über Ärzte und Optiker bis zum Einzelhandel: „Das zeigt, beim Leben auf dem Land muss man auf nichts verzichten. Es ist unsere Heimat.“ Landrat Andreas Müller lobte Feudingen ebenfalls als Vorzeigedorf: „Hier lebt es sich richtig gut, hier ist richtig was los.“ Alleine die Zahl von 28 Vereinen im Kreisgolddorf von 2014 sei „Wahnsinn“. So könne Feudingen die 850-Jahr-Feier fest im Blick haben. Ein Dorf müsse die Zukunft im Blick behalten, „da mache ich mir bei Feudingen keine Sorgen“.

Der Bad Laaspher Bürgermeister Dr. Torsten Spillmann hatte eine Ruhebank als Geschenk nach Feudingen mitgebracht, die vielleicht als Heimatbank ein Plätzchen im Dorf finden werde. Jeder setze beim Begriff Heimat einen anderen Schwerpunkt, meinte der Rathaus-Chef. Klar sei aber: Gemeinschaft sei die Grundlage für Heimatgefühl. Und die sei in Feudingen hervorragend. Gemeindepfarrer Oliver Lehnsdorf konstatierte, dass Feudingen geprägt von Brücken sei. „Ihr habt in all den Jahren viele Brücken gebaut“, sagte der Pfarrer und erinnerte an die Vorbereitungen zum Jubiläum, an die erfolgreiche Teilnahme am Dorfwettbewerb und auch an den Bau der Kirche, dem Wahrzeichen der Ortschaft. Der Bermershäuser Ortsvorsteher Günter Wagner überbrachte die Gratulationen der Ortsvorsteher des oberen Lahntals und von drei Dörfern aus dem Banfetal. Er freute sich über das Feudinger Engagement: „Hut ab vor dem, was ihr geleistet habt.“

Heute Nachmittag geht es in Feudingen weiter – mit einem unvergesslichen Festzug. „Wer auch nur ein kleines Zeitfenster hat, der sollte kommen. Er wird es nicht bereuen“, versprach Hans-Hermann Weber. Heute Abend spielt im Festzelt dann die „Juchee“ zur Juchee.

Feudingen ist deutlich älter als die Jubiläumszahl „800“

Dr. Ulf Lückel beeindruckte in Festrede mit Fachwissen und Anekdoten

Wenn es tatsächlich jemanden gibt, der es schafft, einen kurzweiligen Bogen über 800 Jahre Dorfgeschichte zu spannen und dabei mit der nötigen Portion Humor jede Menge Augenzwinkern in seine Festrede einzubauen, dann stand der gestern Abend in der Feudinger Volkshalle am Rednerpult: Die Geschichte Feudingens sei „interessant und vielfältig“, sagte Dr. Ulf Lückel gleich zu Beginn und erläuterte, dass er in seiner Festrede logischerweise nur einige Schlaglichter behandeln und setzen könne. Dennoch: Einmal abgesehen von spannenden Episoden zum „Wittgensteiner Waldgeist“ und zur ersten Besiedlung des Jubiläumsdorfes waren es zwei Kernaussagen, die sicherlich noch über das Fest-Wochenende hinaus für Gesprächsstoff sorgen dürften.

Zum einen die Feststellung des gebürtigen Girkhäusers, dass Feudingen deutlich älter sei als die „800 Jahre“, die in diesem Jahr gefeiert würden, zum anderen die deutliche Position, dass das seit einiger Zeit grassierende „Keltenfieber“ mit „einigen Spekulationen der einschlägig bekannten Herren“ mit Wittgenstein nicht viel gemein habe. Zunächst der Blick auf die Jubiläumszahl 800: Die auf einem Hügel erbaute Kirche – der heutige Bau zähle zu der Spezies der so genannten südwestfälischen Hallenkirchen – stamme in seinen Grundfesten aus der Mitte des 13. Jahrhunderts, hatte aber nach Aussage von Ulf Lückel schon mindestens einen Vorgängerbau. Ein wichtiger Beleg, dass Feudingen eben schon vor 1218 besiedelt gewesen sei: „Dort war lange Zeit der Siedlungskern des Ortes – und heute hat dieser ja immer noch diese exponierte Lage.“ Was das hier aus der Frühgeschichte Überlieferte jedoch nicht bedeute, sei, dass 1218 Feudingen plötzlich gegründet oder wie aus dem Nichts besiedelt worden wäre. Der Schriftleiter des Wittgensteiner Heimatvereins: „Nein das kann man, ohne lange zu überlegen, einfach nur bejahen, dass wir Feudingen sicherlich schon erheblich früher datieren müssen. Vielleicht schon vor 900 oder auch vor über 1000 Jahren ließen sich an der obersten Lahn Menschen nieder und siedelten hier, Nur, es fehlt bis heute eine ältere schriftliche Quelle dazu.“ Die Ersterwähnung in einem Schriftstück sei der eindeutige Beleg, wie alt der Ort mindestens sei.

Noch etwas zum Thema Kelten: Oftmals sei da der Wunsch, diese frühe Hochkultur auch überall bei uns, wie beispielsweise in der hessischen Wetterau verorten zu wollen, der Vater des Gedanken. „Ich erinnere hier nur an das große Keltengrab mit dem so genannten Fürsten von Glauberg, das 1996 zwischen Friedberg und Büdingen entdeckt wurde – so etwas fehlt eben noch bei uns im Wittgensteiner Land.“ Sicherlich seien punktuell keltische Fliehburgen für die Zeit ca. 700 vor Christi Geburt in Nordwittgenstein und auch im Banfetal nachzuweisen. Nur: „Eine total keltische Besiedlung und Siedlungskultur in unserer Region ist wissenschaftlich nicht haltbar. Das gleiche gilt für die Römer, die ebenfalls einige Hobbyhistoriker bei uns in Wittgenstein verortet haben möchten.“

Ulf Lückel spannte einen weiten Bogen von der Schnapsbrennerei Löwenstein im 19. und 20. Jahrhundert, die den „Wittgensteiner Waldgeist“ erfunden habe, über die Historie des Kirchspiels Feudingen bis hin zu der Tatsache, dass Feudingen – wie Wittgenstein insgesamt – „Spielball“ vieler Herrscherdynastien gewesen sei. Nicht zu vergessen der große Brand im Jahr 1741, als allein 39 Häuser ein Raub der Flammen wurden. Wie gesagt – auch beim in Marburg lebenden Historiker konnte es gestern Abend nur um „Schlaglichter“ gehen. Wer Lust auf mehr bekommen hatte – und das dürften nicht wenige Zuhörer gewesen sein –, dem empfahl Ulf Lückel die Lektüre „des immer noch wichtigen und unübertroffenen Dorfbuches von 1968“, herausgegeben von Werner Wied, sowie das aktuelle Produkt: Die neue Chronik zum 800. Geburtstag ergänze das 50 Jahre alte Werk „auf wunderbare Weise“.